Bodenarbeit mit Pferden - Mehr als nur ein Notprogramm!
- Julia Thaidigsmann
- 2. Aug.
- 4 Min. Lesezeit

„Bodenarbeit, das ist doch nur was für alte oder kranke Pferde.“ Diesen Satz höre ich immer wieder. Und was vermutlich noch mehr eine Rolle spielt: Viele Pferdemenschen finden Bodenarbeit schlichtweg langweilig.
Seit ich mich jedoch intensiv mit dem Thema beschäftigt habe – und viele meiner alten Glaubenssätze über Bord werfen durfte –, ist Bodenarbeit für mich genauso spannend und erfüllend wie das Reiten selbst.
Warum Bodenarbeit alles andere als langweilig ist
Das Entscheidende bei der Bodenarbeit ist für mich: Ich brauche einen Plan. Einfach drauflos geht selten gut – weder für das Pferd noch für den Menschen.
Und wenn man sich einmal wirklich mit der Vielfalt der Bodenarbeit auseinandersetzt, merkt man: Sie ist alles andere als eintönig. Sie fordert Körper und Geist – bei beiden Partnern.
Damit Bodenarbeit gelingt, muss ich präsent im Moment sein. Meine Körpersprache, meine Energie, mein Timing und meine Hilfengebung vom Boden – all das muss klar und fein abgestimmt sein.
Vielfalt für jeden Pferdemenschen
Bodenarbeit ist nicht ein starrer Trainingsansatz – sie bietet zahlreiche Möglichkeiten, individuell auf dein Pferd einzugehen. Hier zeige ich dir, wie vielfältig das aussehen kann:
Beziehung und Vertrauen – die emotionale Grundlage
Wenn du dir eine tiefere Verbindung zu deinem Pferd wünschst, ist Bodenarbeit ein großartiger Weg dahin. Pferde sind sehr soziale Tiere. Sie suchen Sicherheit und Orientierung. Wenn sie spüren, dass wir klar, ruhig und authentisch sind, schließen sie sich uns gerne an.
Vermitteln wir hingegen Unsicherheit, Chaos oder Inkonsequenz, wird es schwierig, Vertrauen aufzubauen.
Respekt – keine Einbahnstraße
Manche Pferde wirken „frech“ oder „grenzenüberschreitend“. In Wahrheit fehlen oft einfach nur klare Regeln und ein verständlicher Rahmen.
Mit gezielten Übungen kann man respektvolles Verhalten fördern – ohne Druck oder Einschüchterung. Dabei geht es nicht nur darum, dass das Pferd uns respektiert, sondern auch, dass wir seinen Raum und seine Grenzen respektieren.
Kopfarbeit für kluge Pferde
Pferde, denen schnell langweilig wird, profitieren enorm von abwechslungsreichen Bodenarbeitsübungen. Ob gezielte Parcours, Geschicklichkeitsaufgaben, kleine Rätsel oder Zirkuslektionen – all das regt zum Denken an.
In Kombination mit dem Reiten sorgt Bodenarbeit für die nötige geistige Auslastung. Langweilig wird es so garantiert keinem von euch.
Verladen – ein Akt des Vertrauens
Wenn dein Pferd ungern in den Hänger steigt, hat das selten nur mit Technik zu tun. In den engen, dunklen Hänger zu gehen, erfordert Vertrauen – in dich und die Umgebung.
Hier ist Geduld gefragt. Oft hilft eine Kombination aus Desensibilisierung, Führtraining und gezielten Vertrauensübungen. Wichtig ist: Das ist kein „Einmal-und-fertig“-Projekt.
Junge Pferde vorbereiten – sanft und systematisch
Für junge Pferde ist Bodenarbeit der perfekte Einstieg in die Welt mit dem Menschen. Noch bevor der Sattel ins Spiel kommt, können sie lernen:
Führen und Anbinden
Hufe geben
Satteln und Trensen
Berührungen akzeptieren
Einsprühen, Tierarztbesuche, Anhängertraining
Unsere Welt ist für Pferde anfangs fremd. Mit ruhiger Bodenarbeit kannst du sie schrittweise an alles gewöhnen.
Reha und Gymnastik – körperliche Förderung vom Boden aus
Natürlich ist Bodenarbeit auch für Pferde mit gesundheitlichen Einschränkungen sinnvoll. Besonders die klassische Handarbeit – z. B. mit Kappzaum – ermöglicht gelenkschonendes Training.
Auch gesunde Pferde profitieren von Übungen wie:
Seitengängen
Biegungen
Übergängen
Rückwärtsrichten
Oder vom gezielten Intervalltraining, um Muskulatur aufzubauen – alles ohne
Reitergewicht. So kannst du das Pferd korrekt vorbereiten und langfristig gesunderhalten.
Desensibilisieren – mit Neugier statt Abhärtung
Schreckhafte Pferde reagieren nicht „grundlos“. Ihr Verhalten ist ein Überlebensmechanismus. Bodenarbeit kann helfen, solche Pferde mutiger zu machen.
Wichtig: Wir wollen sie nicht abstumpfen, sondern neugierig machen. Wenn sie verstehen, dass Neues keine Gefahr bedeutet, lernen sie zu denken, bevor sie flüchten.
Auch wir lernen vom Boden aus
Nicht nur die Pferde lernen bei der Bodenarbeit – auch wir. Wenn du beispielsweise nicht optimal balanciert im Sattel sitzt (was auf viele Freizeitreiter zutrifft), kann dir Bodenarbeit helfen, dein Pferd vom Boden aus so zu gymnastizieren, dass es dich später besser tragen kann.
Ich selbst reite gut – und trotzdem hat mir Bodenarbeit extrem geholfen, meine Traberstute auf beiden Händen besser auszubalancieren.
Mehr Sicherheit für ängstliche Reiter:innen
Bodenarbeit kann auch für dich selbst eine Chance sein, Vertrauen in dich und dein Pferd aufzubauen. Gerade wenn du beim Reiten unsicher bist, hilft dir die Arbeit am Boden, Körpersprache, Energie und Atmung bewusster zu kontrollieren.
Ein kleiner Reminder: Aus Sicht des Pferdes saß früher nur das Raubtier auf seinem Rücken. Wenn wir zu viel Druck machen oder uns selbst nicht unter Kontrolle haben, sehen wir für das Pferd aus wie ein Raubtier – auch wenn wir es nicht merken.
Fazit: Alles beginnt am Boden
Bodenarbeit ist keine "Notlösung" für Reittage ohne Sattel oder kranke Pferde. Sie ist der Anfang von allem – der Anfang einer echten Beziehung, von beidseitigem Vertrauen, von Gymnastizierung und Verständnis.
Und vielleicht ist sie sogar der Schlüssel zu einem tieferen, harmonischeren Miteinander – auf Augenhöhe.
Übungstipp:
Geh auf dem Reitplatz neben deinem Pferd und versuche verschiedene Hufschlagfiguren zu laufen. Achte dabei darauf, dass dein Pferd den vorgegeben Abstand zu dir einhält und versuche so wenig wie möglich am Führseil zu ziehen. Wichtig ist, alles auf beiden Händen zu machen. Das fördert beide Gehirnhälften und das lernen und denken beim Pferd. Und natürlich auch die Biegung auf beiden Händen.
Und wenn du keinen Reitplatz hast, dann funktioniert das auch im Gelände oder auf einer Wiese (dort mit einer zusätzlichen "Nicht-Fress-Challenge ;-)
Wenn du dir Unterstützung wünschst, melde dich gerne bei mir. Ich begleite dich auf diesem Weg, gerne auch online. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten oder Tipps. Wenn du die änderst und beachtest, dann funktioniert es.
Ich freue mich auf dich und dein Pferd.
Herzliche Grüße
Julia
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