Entschleunigung und Pausen - Die wichtigsten Hilfen im Pferdetraining
- Julia Thaidigsmann
- vor 5 Tagen
- 4 Min. Lesezeit

Heute habe ich einen Blogartikel gelesen, der mich wirklich zum Nachdenken gebracht hat. Dabei wurde mir erneut bewusst, wie stark die schnelllebige Welt, in der wir leben, unseren Umgang mit Pferden beeinflusst. Alles muss sofort gehen: Bestellungen, Antworten, Entscheidungen. „Heute bestellt – morgen geliefert.“ Dieses Tempo prägt unseren Alltag – und oft auch unser Training.
Doch was macht dieser Optimierungsdruck mit uns? Und vor allem: Was macht er mit unseren Pferden?
Die Illusion der Zeitersparnis
Wir optimieren, planen und strukturieren, um Zeit zu gewinnen – doch wofür? Allzu oft füllen wir die gewonnene Zeit nicht mit Aktivitäten, die uns guttun, sondern mit noch mehr Optimierungen. Oder wir verlieren sie an unsere Endgeräte.
Genau diese Haltung nehmen wir unbewusst mit in den Stall – und erwarten dort schnelle Ergebnisse, wo eigentlich Ruhe und Geduld gefragt wären.
Wenn Schnelligkeit dem Pferd schadet
Besonders deutlich wird das beim Einreiten. Pferde sind frühestens mit 5 bis 7 Jahren vollständig körperlich ausgereift. Erst dann sind Wirbelsäule, Rippen, Widerrist und die ersten Halswirbel komplett entwickelt. Wer zu früh zu viel verlangt, riskiert körperliche Probleme – im schlimmsten Fall Kissing Spines, Verspannungen oder langfristige Haltungsschäden.
Doch nicht nur Jungpferde leiden unter diesem Druck. Auch später im Training entsteht oft das Gefühl, „etwas erreichen“ zu müssen: schönere Bewegungen, eine bessere Haltung, mehr Fleiß. Und ganz ehrlich – niemand ist davor sicher. Auch ich ertappe mich noch dabei.
Aber genau dann leidet das Wichtigste: die Beziehung zum Pferd.
Der zusätzliche Druck im Traineralltag
Gerade als Trainer begegnet man diesem Zeitdruck noch viel häufiger. Pferdebesitzer wünschen sich schnelle Veränderungen, schnelle Lösungen, schnelle Fortschritte. Und natürlich gilt im professionellen Umfeld oft: Zeit ist Geld.
Aber die Realität ist: Pferdeentwicklung lässt sich nicht beschleunigen.
Wer etwas nachhaltig verändern möchte, braucht:
Zeit
Geduld
Liebe
Verständnis
und die Bereitschaft, Rückschritte zu akzeptieren
Ohne diese Grundhaltung funktioniert es einfach nicht. Und ich bin da sehr ehrlich: Wer nicht bereit ist, genau das zu geben, sollte sich vielleicht ein anderes Hobby suchen.
Denn Pferde sind keine Maschinen. Wachstum, Vertrauen, Muskulatur, Mut und Bereitschaft – all das entsteht nicht auf Knopfdruck.
Pferde leben nicht im Morgen – sie leben im Jetzt
Pferde kennen keine Trainingspläne, keine Wochenziele und keinen Dienstag. Für sie zählt der Moment. Die Energie. Die Stimmung. Unsere Präsenz.
Während wir gedanklich oft schon den nächsten Schritt planen, lebt das Pferd im Jetzt. Und genau darin steckt ein Geschenk: Es zeigt uns, dass echte Entwicklung nie gehetzt entsteht.
Training braucht Zeit – genauso wie Muskelaufbau
Wer selbst schon Sport gemacht hat, weiß: Muskelaufbau braucht Wochen und Monate. Koordination entsteht durch Wiederholung. Vertrauen wächst langsam.
Warum erwarten wir bei Pferden etwas anderes?
Nachhaltiges Training braucht Geduld – und vor allem die Fähigkeit, Pausen zuzulassen.
Zeit teilen statt Ergebnisse erzwingen
Der wichtigste Punkt ist jedoch dieser:
Die Beziehung zu deinem Pferd entsteht nicht über Trainingserfolge, sondern über Vertrauen, Nähe und gemeinsame Erlebnisse.
Darum darf eine Einheit auch ruhig nach 20 Minuten enden, wenn etwas wirklich gut war. Dann ist es meistens kontraproduktiv, noch 40 Minuten weiterzumachen – nur damit „die Stunde voll ist“.
Deshalb lege ich mich bei meinen Kundenterminen selten zeitlich fest.
Wir hören auf, wenn es passt.
Das kann nach 30 Minuten sein – oder nach 70.
Ein Pferd bestimmt das Tempo, nicht die Uhr.
Momente, die Verbindung schaffen
Pferde wissen nichts von Fortschritt, aber sie spüren jede Minute, die wir bei ihnen sind. Für sie geht es nicht um Perfektion, sondern um Präsenz.
Und genau das entsteht in einfachen, erwartungsfreien Momenten:
ein Spaziergang im Wald
gemeinsam im Bach stehen
entspannt über eine Wiese schlendern
einfach nebeneinander atmen
Pause machen, statt weiterzupressen
Das sind die Augenblicke, in denen Nähe und Vertrauen wachsen.
Was wir von unseren Pferden lernen dürfen
Wir dürfen lernen, so präsent zu sein wie unsere Pferde: im Hier und Jetzt. Ohne Ziel, ohne Druck, ohne Erwartung.
Natürlich gehört gutes Training dazu – aber es ist nicht der Kern der Beziehung. Der Kern ist das gemeinsame Sein.
ÜBUNGSIDEE: EINE ERWARTUNGSFREIE ZEIT MIT DEINEM PFERD
Ziel: Verbindung stärken, Druck rausnehmen, Präsenz üben.
So geht’s:
Geh das nächste Mal ohne jede Erwartungshaltung in den Stall Kein Trainingsziel, kein „Wir müssen heute…“. Nur Zeit miteinander.
Begrüße dein Pferd in Ruhe. Atme tief durch, lass den Alltag draußen und nimm dir einen Moment, einfach anzukommen.
Verbringe entspannte, einfache Zeit miteinander:
gemütliches Putzen
eine sanfte Massage
ein ruhiger Spaziergang durch den Herbstwald
Achte bewusst auf die Reaktionen deines Pferdes. Wo entspannt es? Wo lehnt es sich an? Wo sucht es Nähe?
Finde die Lieblingskraulstelle deines Pferdes.
Wenn du sie schon kennst – nutze sie. Wenn nicht – probiere verschiedene Stellen aus, bis du merkst, wie es genüsslich abschaltet.
Beende die Einheit, wenn es sich gut anfühlt.
Nicht nach Uhr, sondern nach Gefühl.
Fazit: Entschleunigung ist kein Luxus – sondern ein Trainingsprinzip
Wenn wir uns Zeit nehmen, entsteht Raum für echte Entwicklung: körperlich, mental und emotional. Nicht nur für unser Pferd, sondern auch für uns selbst.
Und vielleicht ist heute ein guter Tag, um einfach einmal ohne Ziel in den Stall zu fahren – und zu schauen, was entstehen möchte.
Denn manchmal ist genau das der wertvollste Teil des Trainings.
Ich begleite dich und dein Pferd gerne auf eurem Weg zu mehr Bewusstsein, Klarheit und Leichtigkeit am Boden.
Bei mir steht nicht das „Funktionieren“ im Vordergrund, sondern echte Kommunikation, Vertrauen und gegenseitiges Verstehen. Gerne begleite ich dich und dein Pferd.
Ich freue mich auf dich und dein Pferd.
Herzliche Grüße
Julia







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